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Das Bundesverfassungsgericht stärkt die Rechte von Demonstranten


urbs-media, 16.5.2011: Wer sich in Deutschland bisher an einer Demonstration beteiligte, dem drohte oft Ärger mit der Justiz. Denn Sitzblockaden werden von den Strafgerichten nach dem so genannten "Laepple-Urteil" des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 1969 als "Nötigung" (§ 240 StGB) bestraft (BGH, Urteil vom 8.8.1969 - 2 StR 171/69). Im Urteilsfall hatte sich ein Student aus Protest gegen die Fahrpreiserhöhung der Kölner Straßenbahn auf die Schienen gesetzt und so den Bahnverkehr blockiert. Der Bundesgerichtshof hob damals den Freispruch der Kölner Richter auf und ordnete gegen den Demonstranten Klaus Laepple einen neuen Strafprozess wegen Nötigung vor dem Landgericht Wuppertal an. Laut Wikipedia fand dieser zweite Prozess in Wuppertal jedoch nicht mehr statt, weil die damalige Bundesregierung (1. Große Koalition) auf Druck der Studentenproteste des Jahres 1968 ein Amnestiegesetz beschlossen hatte, das auf Betreiben des Verbands Deutscher Studentenschaften (VDS) auch auf "Straftaten" aus den Jahren 1966 und 1967 angewendet wurde.

Seit diesem ominösen "Laepple-Urteil" gelten Sitzblockaden in Deutschland als strafbare Nötigung: Die spitzfindige Begründung des Bundesgerichtshofs lautete damals wie folgt: "Die Anerkennung von Sitzblockaden anlässlich von Demonstrationen läuft auf die Legalisierung eines von militanten Minderheiten geübten Terrors hinaus."

An dieser juristischen Beurteilung von Sitzblockaden hat sich dann in den folgenden 40 Jahren in Deutschland praktisch nichts geändert. Und zwar exakt bis zu einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im März 2011. Denn am 7.3.2011 haben die Karlsruher Richter die Verurteilung eines Demonstranten durch das Landgericht München wegen Nötigung als verfassungswidrig aufgehoben. Der Beschwerdeführer hatte im März 2004 zusammen mit weiteren 40 Demonstranten im Zuge der Proteste gegen den US-Angriff auf den Irak die Zufahrt zu einem US-Luftwaffenstützpunkt blockiert. Deshalb war er wegen Nötigung der amerikanischen Truppen vom Amtsgericht Frankfurt zu einer Geldstrafe von 450 Euro verurteilt worden. Die hiergegen gerichtete Berufung hatte das Landgericht Frankfurt zurückgewiesen, so dass dem betroffenen Demonstranten nur noch der Weg zum Bundesverfassungsgericht blieb.

In seiner aktuellen Entscheidung widerspricht das Bundesverfassungsgericht der bisherigen Praxis der BRD-Strafjustiz, Sitzblockaden grundsätzlich als Nötigung zu bestrafen. Insbesondere kritisiert das Bundesverfassungsgericht die exzessive Ausdehnung des Gewaltbegriffs durch den Bundesgerichtshof. Zum Kern der durch das Grundgesetz geschützten Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) gehören damit auch Sitzblockaden. Denn das verfassungsrechtlich garantierte Demonstrationsrecht beschränkt sich nicht nur darauf, verbal oder mit Plakaten für seine Anliegen eintreten zu dürfen. Solange es nicht zu Ausschreitungen kommt, sind daher zumindest auch kurzfristige Sitzblockaden vom Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit geschützt.

(Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 7.3.2011 - 1 BvR 388/05)

urbs-media Praxistipp: Diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Stärkung des Demonstrationsrechts in Deutschland ist ein schwerer Schlag gegen diejenigen Kräfte in der Bundesrepublik, die Demonstrationen als "Anschlag auf den Rechstaat" begreifen und die Teilnehmer dementsprechend als Kriminelle brandmarken wollen. So ist z.B. in dem vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall die Hessische Landesregierung in einer Stellungnahme für eine Ablehnung der Verfassungsbeschwerde eingetreten.

Solange Demonstranten gewaltlos protestieren, dürfen sie daher künftig nicht mehr wegen Nötigung bestraft werden, wenn sie öffentlich zugänglichen Straßenraum blockieren. Dies ist auch folgerichtig, denn jede Demonstration nimmt zwangsläufig öffentlichen Raum in Anspruch und schließt dementsprechend andere Personen von der Nutzung aus bzw. beschränkt deren Bewegungsfreiheit. Und genau diesem Aspekt hat das Bundesverfassungsgericht jetzt in seiner aktuellen Entscheidung endlich Rechnung getragen und damit die Versammlungsfreiheit gegen obrigkeitsstaatliche Tendenzen in Schutz genommen.



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