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Das Bundessozialgericht erklärt das Hausarztmodell der Barmer für rechtswidrig


urbs-media, 11.2.2008: Seit März 2005 bietet die Barmer Ersatzkasse ihren Versicherten das so genannte Hausarztmodell an. Wer sich schriftlich verpflichtet, mindestens für ein Jahr auf die freie Arztwahl zu verzichten und immer zuerst seinen von der Barmer "zertifizierten" Hausarzt aufzusuchen und alle Medikamente (auch freiverkäufliche) bei einer im voraus berstimmten Barmer-Vertragsapotheke zu kaufen, der muss die ansonsten in jedem Quartal fällige Praxisgebühr nur einmal im Kalenderjahr zahlen.

Dieses Hausarztmodell der Barmer wurde von Anfang an heftig kritisiert und viele engagierte Ärzte verweigern eine Teilnahme. Jetzt hat auch das Bundessozialgericht entschieden, dass das Hausarzt-Modell rechtswidrig ist. Anlass für diese Entscheidung war eine Klage der Kassenärztlichen Vereinigung Thüringen gegen die Barmer. Die Barmer hatte für ihr Hausarztmodell insgesamt gut 50 bis 60 Mio. Euro in Form von Fördermitteln zur Verbesserung der integrierten Versorgung kassiert. Denn seit Anfang des Jahres 2000 haben die Krankenkassen nach §§ 140a ff SGB V einen Anspruch in Höhe von einem Prozent ihrer an die Kassenärztlichen Vereinigung zu zahlenden Beträge, wenn sie Verträgen mit Leistungserbringern im Gesundheitswesen zu integrierten Versorgungsformen abschließen.

Jetzt hat auch in letzter Instanz das Bundessozialgericht entschieden, dass die Barmer für ihr Hausarztmodell keine zusätzliche "Vergütung" beanspruchen kann, weil die gesetzlichen Anforderungen einer "Leistungssektoren übergreifenden Versorgung" nicht erfüllt sind. Im Kern monierte das Gericht insbesondere die fehlende Einbindung von Fachärzten in das Hausarztmodell. Eine bloße Kooperation zwischen Hausärzten und Hausapotheken wie bei der Barmer sei jedenfalls nicht ausreichend, denn in einer derartigen Kooperation ist weder eine interdisziplinär-fachübergreifende noch eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende Versorgung des Patienten zu sehen. In diesem Zusammenhang hatte bereits das Landessozialgericht Thüringen (Urteil vom 24.1.2007 - L 4 KA 362/06) festgestellt, dass durch das Barmer Hausarztmodell entgegen dem Gesetzeszweck vor allem die beteiligten Vertragsapotheken finanziell profitieren, ohne jedoch wie die Gesamtheit der Vertragsärzte zur Finanzierung herangezogen zu werden. Insofern stellt das Hausarztmodell der Barmer also einen unzulässigen Vertrag zu Lasten Dritter - nämlich der Ärzte - dar.

Auch das weitere gesetzgeberische Ziel - die Verhinderung von Mehrfachleistungen - kann durch einen solchen Vertrag nicht erreicht werden, weil Vertragsärzte und Apotheker nicht gleiche Leistungen erbringen können. Unbeachtlich ist in diesem Zusammenhang nach Meinung der Richter auch die Tatsache, dass das Gesundheitsministerium das Hausarztmodell der Barmer ausdrücklich begrüßt hat. Folglich muss die Barmer insgesamt etwa 50 bis 60 Mio. Euro an zu unrecht erhaltenen "Subventionen" an die einzelnen Kassenärztlichen Vereinigungen zurückzahlen.

(Bundessozialgericht, Urteil vom 6.2.2008 - B 6 KA 27/07 R)

urbs-media Praxistipp: Insgesamt sind über 2 Mio. Mitglieder der Barmer bei dem umstrittenen Hausarzt-Modell eingeschrieben. Die Barmer hat in diesem Zusammenhang angekündigt, trotz des negativen höchstrichterlichen Urteils ihr Hausarztmodell fortzusetzen. Versicherte, die bereits am Hausarztmodell der Barmer (oder bei anderen Krankenkassen) teilnehmen, sollten daher genau überlegen, ob sie trotz der vordergründigen Ersparnis von maximal 30 Euro im Kalenderjahr wegen einer möglicherweise schlechteren medizinischen Versorgung unter dem Strich nicht erheblich draufzahlen.

Die Kritiker werfen der Barmer nämlich vor, auf Kosten der Patienten unter dem Deckmantel der Arzneimittelsicherheit hohe Millionenbeträge bei den Ausgaben sparen und zusätzliche Subventionen kassieren zu wollen. Die Hausärzte verpflichten sich nämlich gegenüber der Barmer, den teilnehmenden Patienten nur noch preiswerte Medikamente zu verschreiben. Denn nach dem 50-seitigen Hausarztvertrag mit der Barmer ist der Vertragsarzt zu extremer Sparsamkeit gezwungen: So streben die Vertragsparteien z.B. bei den teilnehmenden Patienten eine im Vergleich zum GKV-Durchschnitt deutlich kostengünstigere Ausgabenentwicklung an. Dazu gehören der Verordnungsverzicht für so genannte Scheininnovationen, die sinnvolle Nutzung der Aut-idem-Regelung und die verstärkte Verordnung von Generika. Das soll vornehmlich bei Patienten über 50 Jahren umgesetzt werden, die hohe Krankheitskosten verursachen. Auch sind die Ärzte verpflichtet, diejenigen Patienten, die am Barmer Hausarzt- und Hausapothekenmodell teilnehmen, im Krankheitsfall nur in die preiswertesten Krankenhäuser in der Region einzuweisen.

Außerdem sind die am Hausarztmodell teilnehmenden Mediziner verpflichtet, möglichst viele Barmer-Patienten in so genannte Disease-Management-Programme (DMP) einschreiben. Hierfür erhält die Barmer pro Patient dann bis zu 5.000 Euro Subvention aus dem Risikostrukturausgleich der gesetzlichen Krankenkassen. Im Vergleich dazu sind die 35 Euro Aufwandsentschädigung pro Patient und Jahr sowie der Anteil von 30 Prozent bei den eingesparten Medikamenten für die Ärzte beim Hausarztmodell nur ein Trinkgeld.

Problematisch erscheint auch die Bindungsfrist für die Patienten beim Hausarztmodell von einem Jahr. Hier erlaubt der vom Patienten unterzeichnete Vertrag eine Kündigung nur spätestens drei Monate vor Ablauf des Teilnahmejahres. Ansonsten verlängert sich der Hausarztvertrag um ein weiteres Jahr. Ein Wechsel des Hausarztes bzw. des Hausapothekers ist lediglich im Falle eines Umzugs bzw. bei einem dauerhaft gestörten Vertrauensverhältnis möglich. Nach einem Beitrag der Wirtschaftswoche akzeptiert die Barmer aber auch Kündigungen vor Ablauf der Jahresfrist. In diesem Fall ist dann aber ab sofort wieder die normale Praxisgebühr von 10 Euro pro Quartal zu entrichten.

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