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Fast 300.000 Leiharbeiter und Leiharbeiterinnen haben Anspruch auf eine Lohnerhöhung


urbs-media, 14.3.2011: Im Dezember 2010 hat das Bundesarbeitsgericht in Erfurt entschieden, dass die so genannte Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personal-Service-Agenturen (CGZP) keine Gewerkschaft im Sinne des Tarifvertragsgesetzes ist. Die Gewerkschaft ver.di hatte das Verfahren zusammen mit dem Land Berlin gegen die CGZP angestrengt. Denn die beklagte Gewerkschaft hatte mit zahlreichen Zeitarbeitsfirmen Tarifverträge abgeschlossen, in denen sehr niedrige Stundenlöhne für die Beschäftigten in der Leiharbeitsbranche vereinbart worden waren. Die von der CGZP mit dem Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister e.V. sowie der Bundesvereinigung Deutscher Dienstleistungsunternehmen e.V. vereinbarten Löhne für Zeitarbeiter liegen nämlich teilweise noch unter fünf Euro pro Stunde. Als Folge dieser Dumpinglöhne sind zahlreiche Leiharbeitnehmer sogenannte Hartz IV Aufstocker und erhalten neben ihrem Lohn zusätzlich Arbeitslosengeld II.

Bereits mit der mündlichen Verkündung der BAG-Entscheidung am 14.12.2010 war klar, dass diese vermutlich auch finanzielle Auswirkungen auf all diejenigen Beschäftigten haben wird, deren Niedrig-Löhne bisher von den ach so christlichen Gewerkschaftlern der CGZP "ausgehandelt" worden sind. Jetzt hat das Bundesarbeitsgericht Ende Februar 2011 auch die schriftliche Urteilsbegründung veröffentlicht.

(Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 14.12.2010 - 1 ABR 19/10)

urbs-media Praxistipp: Die gesamten Konsequenzen der Erfurter Entscheidung sind immer noch nicht voll absehbar. Klar ist nur, dass wegen der vom Bundesarbeitsgericht festgestellten fehlenden Tariffähigkeit der "Christlichen Tarifvereinigung CGZP" etwa 280.000 Leiharbeitnehmer Anspruch auf höhere Löhne haben.

Unklar ist aber noch, wie die jetzt "tariffreien" Leiharbeitnehmer zu entlohnen sind.

  • So wird einmal die Meinung vertreten, der Stundenlohn der ehemals unter die "Tarifhoheit" der CGZP fallenden Beschäftigten richte sich jetzt nach § 9 Nr. 2 des Arbeitnehmer-Überlassungsgesetzes (AÜG). Hiernach gilt das so genannte "Equal-Pay-Prinzip", wenn für Leiharbeitnehmer keine eigenständigen tarifvertraglichen Regelungen getroffen wurden. Nach dieser Auffassung haben die von der "Christlicher Gewerkschaften CGZP" unzulässigerweise zwangs-vertretenen Leiharbeitnehmer jetzt Anspruch auf den Stundenlohn und die Arbeitsbedingungen (z.B. Urlaub), die auch für die Stammbelegschaft gelten. Dies würde den Betroffenen daher im Regelfall eine Lohnerhöhung von mehreren hundert Euro pro Monat bescheren.

  • Nach anderer Ansicht ist trotz des Beschlusses des Bundesarbeitsgerichts zur fehlenden Tariffähigkeit der CGZP kein tarifloser Zustand eingetreten. Die bisher (zu Unrecht) von der "Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personal-Service-Agenturen" vertretenen Leiharbeitnehmer sollen nach dieser Ansicht jetzt automatisch in den Zuständigkeitsbereich der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di fallen. Dies hätte zur Folge, dass die betroffenen Leiharbeitnehmer nur Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn im Arbeitnehmer-Überlassungsgewerbe von 7,60 Euro in Westdeutschland und 6,65 Euro in Ostdeutschland hätten. Dieser Mindestlohn für die Zeitarbeitsbranche ist aber von der Bundesregierung noch nicht verabschiedet und gilt daher vermutlich erst ab 1. Mai 2011.
Problematisch ist auch, inwieweit die betroffenen Arbeitnehmer Anspruch auf eine Lohnnachzahlung haben. Denn die Gewerkschaft der CGZP hat seit dem Jahr 2003 Tarifverträge für Leiharbeitnehmer geschlossen. Durch die Aberkennung der Tariffähigkeit durch das Bundesarbeitsgericht sind diese Vereinbarungen vermutlich rückwirkend ungültig geworden. Hierzu sind vor dem Arbeitsgericht Berlin aber noch verschiedene Verfahren anhängig, die jetzt nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts wieder aufgenommen werden. Wir gehen aber davon aus, dass die Betroffenen zumindest theoretisch auch Anspruch auf eine rückwirkende Lohnerhöhung haben. "Theoretisch" deshalb, weil im Arbeitsrecht besondere Verjährungs- und Ausschlussfristen für Lohnrückstände gelten.

Die regelmäßige Verjährungsfrist nach § 195 BGB beträgt drei Jahre und gilt auch im Arbeitsrecht. Die Frist beginnt mit den Ende des Kalenderjahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Anspruchsinhaber von den maßgeblichen Umständen Kenntnis erlangte oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen (§ 199 Abs. 1 BGB). Fraglich ist in diesem Zusammenhang, ob die Verjährungsfrist bereits Ende des Jahres 2010 mit der mündlichen Verkündung der BAG- Entscheidung begonnen hat oder die Verjährung erst am 31.12.2011 beginnt, weil das Bundesarbeitsgericht die schriftlichen Entscheidungsgründe erst Ende Februar 2011 veröffentlicht hat. Verjährungsrechtliche Hindernisse stehen im vorliegenden Fall der Geltendmachung von Lohnrückständen nach Meinung der urbs-media Redaktion jedenfalls nicht entgegen.

Anders sieht dies möglicherweise mit tariflichen Ausschlussfristen aus. Denn viele Tarifverträge sehen für die Geltendmachung von rückständigem Arbeitslohn eine dreimonatige Ausschlussfrist vor. Derartige Klauseln sind auch in den von der "Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personal-Service-Agenturen" abgeschlossenen Tarifverträgen enthalten. Nun hat das Bundesarbeitsgericht aber festgestellt, dass diese "Gewerkschaft" nicht tariffähig ist und die von ihr abgeschlossenen Tarifverträge somit unwirksam (nichtig) sind. Folglich können sich die Leiharbeitsfirmen auch nicht auf die Wirksamkeit der Ausschlussklausel berufen.

In Betracht kommt aber eine Art Vertrauensschutz der Arbeitgeber dahingehend, nicht unbefristet mit nachträglichen Lohnansprüchen konfrontiert zu werden. Denn es liegt auf der Hand, dass in einem derartigen Fall die wirtschaftliche Grundlage vieler Zeitarbeitsfirmen akut bedroht wäre. Hinzu kommt, dass für nachträglich gezahlten Arbeitslohn auch noch Beiträge zur Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung zu entrichten wären. Insgesamt gehen Experten daher davon aus, dass es insgesamt um einen Betrag in der Größenordnung von 1,5 Mrd. Euro geht, sollten die Lohnansprüche rückwirkend bis zum Jahr 2003 neu berechnet werden. Allerdings hat das Bundesarbeitsgericht schon im Jahr 2006 entschieden, dass es keinen juristisch relevanten Vertrauensschutz in die Tariffähigkeit einer Gewerkschaft gibt (BAG, Urteil vom 15.11.2006 - 10 AZR 665/05).

Ansprüche auf rückständigen Arbeitslohn über den Zeitraum von drei Monaten hinaus könnten im vorliegenden Fall daher allenfalls durch eine entsprechende Klausel im Arbeitsvertrag ausgeschlossen sein. Und in der Tat sind derartige Ausschlussklauseln in Arbeitsverträgen weit verbreitet. Wer daher von seinem Verleihunternehmen über den Zeitraum von drei Monaten hinaus rückwirkend mehr Geld verlangen will, sollte zunächst einen Blick in den Arbeitsvertrag werfen. Gibt es dort keine derartige Klausel, dann ist die Rechtslage klar: Innerhalb der Verjährungsfristen ist der Arbeitgeber zur Nachzahlung verpflichtet.

Ist eine derartige arbeitsvertragliche Ausschlussklausel im Arbeitsvertrag vorhanden, dann sind wieder die Juristen gefragt. Denn nicht alle Ansprüche gehen automatisch unter, wenn sie nicht fristgerecht geltend gemacht werden. Wirksam sind derartige individualvertragliche Ausschlussfristen nämlich nur, wenn sie im Arbeitsvertrag deutlich erkennbar sind, z.B. durch eine aussagekräftige Überschrift oder durch drucktechnische Hervorhebung.

Schließlich greifen arbeitsvertragliche Ausschlussfristen nur dann ein, wenn es dem Gläubiger (hier dem Arbeitnehmer) auch tatsächlich möglich war, seine Forderung einigermaßen konkret zu beziffern. Und da sind wir beim gleichen Problem wie der Verjährung, die ebenfalls erst dann beginnt, wenn Gläubiger dem Grunde nach Kenntnis von seinem Anspruch hat.

Aber auch wenn Arbeitnehmer die Nachzahlung von rückständigem Arbeitslohn von ihrem Leiharbeitsunternehmen haben sollten, fragt es sich, ob diese Ansprüche auch praktisch durchsetzbar sind. Denn hinter vorgehaltener Hand wird bereits darüber spekuliert, dass die meisten Zeitarbeitsfirmen finanziell schlichtweg nicht in der Lage sind, die Lohnnachzahlungen sowie die darauf entfallenden Sozialversicherungsbeiträge aufzubringen. Deshalb deutet vieles darauf hin, dass es als Folge des BAG-Urteils in der Leiharbeitsbranche eine Insolvenzwelle geben wird.

Für die betroffenen Arbeitnehmer bedeutet dies, dass sie sich schnellstmöglich bei ihrer Gewerkschaft oder bei einem Fachanwalt für Arbeitsrecht über die bestmögliche Vorgehensweise beraten lassen sollten. Pauschale Ratschläge im Wege der Ferndiagnose helfen hier wegen der zahlreichen juristischen Klippen nicht weiter.



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